Alina Bronsky gehört zu den wenigen Autorinnen, von denen ich ungesehen jede Neuerscheinung sofort kaufe, und die mich deshalb schon viele Jahre lang begleitet. Dass mir ihre Bücher so sehr gefallen, liegt an den außergewöhnlichen Themen, die sie behandelt, und auch an der Art und dem Stil, wie sie ihre Figuren, deren Denken und Handeln erzählt. Nach der Katastrophe von Tschernobyl kehrt Baba Dunja wieder in ihr altes Dorf zurück. Sie wurde damals gezwungen es zu verlassen, hat es in der Stadt aber nicht lange ausgehalten. Sie ist eh schon alt, denkt sie sich, was soll das bisschen Strahlung denn noch ausrichten können? Andere Menschen erfahren aus der Zeitung oder dem Fernsehen, dass Baba Dunja wieder in Tschernowo wohnt, tun es ihr gleich und alte sowie neue Gesichter beleben das Dorf wieder. Das Wasser kommt aus dem Brunnen, Strom haben sie auch, eine Telefonleitung nicht. Sie können von Glück reden, dass der Bus an der zwei Stunden entfernten Haltestelle noch regelmäßig fährt, aber die Gärten werfen auch genügend Obst und Gemüse ab, solange man alles per Hand bestäubt. Die Bienen sind nämlich noch nicht zurückgekehrt.
Mit Baba Dunja erschuf Alina Bronsky eine sehr eigenwillige Frau. Sie redet mit ihrem toten Mann und dem toten Hahn ihrer Nachbarin Marja, freut sich über all die verstrahlten, aber frischen Sachen, die sie direkt aus ihrem Garten essen kann und ist mit ihrem Leben in Tschernowo absolut zufrieden. Mit ihrer Nachbarin Marja verbringt sie manchmal Zeit und zu Petrow bringt sie Reste ihres Essens, damit er nicht verhungert. Ansonsten ist man eher allein in diesem Dorf, genau deshalb sind ja überhaupt erst alle zurückgekehrt. Baba Dunja spricht hier im Präsens, spricht selbst, spricht als ich und kommentiert dabei mit fast unfreiwilligem Humor ihren Alltag, ihr Handeln und ihre Umgebung. Genau diese Form machte Baba Dunja für mich zu einem greifbaren Charakter, der mich immer wieder überrascht, amüsiert und nachdenklich gemacht hat. Zu meinem Lesevergnügen beigetragen hat auch noch die einmalige Atmosphäre in Tschernowo. Selbstverständlich sind Stimmung, Flair und Umgebung in diesem Dorf am Rande der Todeszone einzigartig und Alina Bronsky schafft es auch noch mit ihrem Stil — mal deutlich, mal metaphorisch oder peotisch — dies alles zum Leben zu erwecken.
Als ich zum ersten Mal dieses Büchlein in der Hand hatte, habe ich sofort den Umfang bemängelt. Mir war von Anfang an klar, dass ich mehr von dieser Geschichte lesen möchte als mickrige 150 Seiten. Nach dem Lesen hat sich dieser Eindruck nicht geändert, allerdings nicht nur wegen Baba Dunja oder der Atmosphäre. Viele Dinge hatten auf den wenigen Seiten einfach keinen Platz. Charakterentwicklung oder gehaltvolle Nebencharaktere, eine Handlung, die über den bloßen Alltag in Tschernowo hinausgeht. All dies wurde zwar angerissen, konnte aber nicht zufriedenstellend durchgeführt werden. So blieb die Veränderung durch die im Klappentext angekündigten Fremden im Dorf sehr kryptisch, ging nie über eine Andeutung hinaus. Weitere Bewohner des Dorfes konnte man zwar relativ schnell anhand ihrer eigenwilligen Verhaltensweisen erkennen, doch tiefer ging es auch bei ihnen nicht. Ein wichtiger Pol in Baba Dunjas Leben bilden ihre Tochter Irina und die Enkelin Laura, die sie aufgrund ihrer Rückkehr in die Todeszone zwar noch nie gesehen hat, aber dennoch herzlich liebt. Viele ihrer Gedanken kreisen um die beiden, man lernt sie zuerst durch Erinnerungen, Briefe und Pakete kennen, alles ein wenig romantisiert in Baba Dunjas Gedanken, später auch persönlich. Doch auch diese beiden Personen kommen über den angedeuteten Status nie hinaus. Vieles muss und soll man sich als Leser wahrscheinlich selbst zusammenreimen, doch wie überhaupt, wenn es so wenige Anhaltspunkte gibt?
In der Kürze liegt die Würze? Das trifft bei Baba Dunjas letzte Liebe leider nicht zu. Mehr Seiten und damit mehr Tiefgang hätten dieser Geschichte gutgetan, jedoch machen die einmalige Baba Dunja und die einzigartige Atmosphäre im Dorf mitten in der Tschernobyl-Todeszone so einiges wieder wett. Ich freue mich darüber, dass Baba Dunjas letzte Liebe es auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2015 geschafft hat, und wünsche für den weiteren Verlauf viel Erfolg.
Alina Bronsky gehört zu den wenigen Autorinnen, von denen ich ungesehen jede Neuerscheinung sofort kaufe, und die mich deshalb schon viele Jahre lang begleitet. Dass mir ihre Bücher so sehr gefallen, liegt an den außergewöhnlichen Themen, die sie behandelt, und auch an der Art und dem Stil, wie sie ihre Figuren, deren Denken und Handeln erzählt. Nach der Katastrophe von Tschernobyl kehrt Baba Dunja wieder in ihr altes Dorf zurück. Sie wurde damals gezwungen es zu verlassen, hat es in der Stadt aber nicht lange ausgehalten. Sie ist eh schon alt, denkt sie sich, was soll das bisschen Strahlung denn noch ausrichten können? Andere Menschen erfahren aus der Zeitung oder dem Fernsehen, dass Baba Dunja wieder in Tschernowo wohnt, tun es ihr gleich und alte sowie neue Gesichter beleben das Dorf wieder. Das Wasser kommt aus dem Brunnen, Strom haben sie auch, eine Telefonleitung nicht. Sie können von Glück reden, dass der Bus an der zwei Stunden entfernten Haltestelle noch regelmäßig fährt, aber die Gärten werfen auch genügend Obst und Gemüse ab, solange man alles per Hand bestäubt. Die Bienen sind nämlich noch nicht zurückgekehrt.
Mit Baba Dunja erschuf Alina Bronsky eine sehr eigenwillige Frau. Sie redet mit ihrem toten Mann und dem toten Hahn ihrer Nachbarin Marja, freut sich über all die verstrahlten, aber frischen Sachen, die sie direkt aus ihrem Garten essen kann und ist mit ihrem Leben in Tschernowo absolut zufrieden. Mit ihrer Nachbarin Marja verbringt sie manchmal Zeit und zu Petrow bringt sie Reste ihres Essens, damit er nicht verhungert. Ansonsten ist man eher allein in diesem Dorf, genau deshalb sind ja überhaupt erst alle zurückgekehrt. Baba Dunja spricht hier im Präsens, spricht selbst, spricht als ich und kommentiert dabei mit fast unfreiwilligem Humor ihren Alltag, ihr Handeln und ihre Umgebung. Genau diese Form machte Baba Dunja für mich zu einem greifbaren Charakter, der mich immer wieder überrascht, amüsiert und nachdenklich gemacht hat. Zu meinem Lesevergnügen beigetragen hat auch noch die einmalige Atmosphäre in Tschernowo. Selbstverständlich sind Stimmung, Flair und Umgebung in diesem Dorf am Rande der Todeszone einzigartig und Alina Bronsky schafft es auch noch mit ihrem Stil — mal deutlich, mal metaphorisch oder peotisch — dies alles zum Leben zu erwecken.
Als ich zum ersten Mal dieses Büchlein in der Hand hatte, habe ich sofort den Umfang bemängelt. Mir war von Anfang an klar, dass ich mehr von dieser Geschichte lesen möchte als mickrige 150 Seiten. Nach dem Lesen hat sich dieser Eindruck nicht geändert, allerdings nicht nur wegen Baba Dunja oder der Atmosphäre. Viele Dinge hatten auf den wenigen Seiten einfach keinen Platz. Charakterentwicklung oder gehaltvolle Nebencharaktere, eine Handlung, die über den bloßen Alltag in Tschernowo hinausgeht. All dies wurde zwar angerissen, konnte aber nicht zufriedenstellend durchgeführt werden. So blieb die Veränderung durch die im Klappentext angekündigten Fremden im Dorf sehr kryptisch, ging nie über eine Andeutung hinaus. Weitere Bewohner des Dorfes konnte man zwar relativ schnell anhand ihrer eigenwilligen Verhaltensweisen erkennen, doch tiefer ging es auch bei ihnen nicht. Ein wichtiger Pol in Baba Dunjas Leben bilden ihre Tochter Irina und die Enkelin Laura, die sie aufgrund ihrer Rückkehr in die Todeszone zwar noch nie gesehen hat, aber dennoch herzlich liebt. Viele ihrer Gedanken kreisen um die beiden, man lernt sie zuerst durch Erinnerungen, Briefe und Pakete kennen, alles ein wenig romantisiert in Baba Dunjas Gedanken, später auch persönlich. Doch auch diese beiden Personen kommen über den angedeuteten Status nie hinaus. Vieles muss und soll man sich als Leser wahrscheinlich selbst zusammenreimen, doch wie überhaupt, wenn es so wenige Anhaltspunkte gibt?
In der Kürze liegt die Würze? Das trifft bei Baba Dunjas letzte Liebe leider nicht zu. Mehr Seiten und damit mehr Tiefgang hätten dieser Geschichte gutgetan, jedoch machen die einmalige Baba Dunja und die einzigartige Atmosphäre im Dorf mitten in der Tschernobyl-Todeszone so einiges wieder wett. Ich freue mich darüber, dass Baba Dunjas letzte Liebe es auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2015 geschafft hat, und wünsche für den weiteren Verlauf viel Erfolg.