Nach der Nuklearkatastrophe kehren einige alte Menschen in ihr altes Zuhause im Dorf Tschernowo zurück. Baba Dunja, eine betagte Dame, ist eine von ihnen. Durch ihre Augen verklärt sich das kleine Dorf, gelegen inmitten der Todeszone, in eine merkwürdige Idylle. Zumindest solang die alteingesessenen Dörfler unter sich bleiben.. Die Geschichte ist kurzweilig, Humor und Tragik reichen sich hier die Hand und es ist alles nett zu lesen, aber auf mich wirkte vieles nicht bis zum Ende ausgearbeitet, fast wie eine Art Entwurf. Ab dem Punkt, an dem die Fremden in die Dorfgemeinschaft eintreten, hatte das Buch etwas erzwungenes. Für mich war Baba Dunja an vielen Stellen zu ruhig, zu unaufgeregt, mir fehlten da Regungen, die manchmal nur vage Andeutung gefunden haben, und stellenweise fühlte ich mich der in Deutschland lebenden Tochter, über die sie berichtet, näher als ihr.

(Für mich noch ein klarer Pluspunkt: Die Wahl von Sophie Rois als Sprecherin für Baba Dunja. Passte ziemlich gut.)

Baba Dunja, die nun wirklich keine 82 Jahre mehr ist ;-) kehrt zurück in ihr Heimatdorf Tschernowo, das in der Todeszone von Tschernobyl liegt. Sie ist die Erste, die sich dort, in ihrem alten Haus, wieder niederlässt, doch nach und nach steigt die Zahl der BewohnerInnen. Es sind meist Alte, die Jüngsten um die 60 Jahre, zum Teil schwer krank, die nichts fürchten, auch nicht den Tod. Jede/r lebt dort sein Leben, eine wirkliche Gemeinschaft gibt es nicht. Gemüse und Obst werden im eigenen Garten angebaut, was man sonst so braucht und nicht selbst herstellen kann, wird von der kärglichen Rente im nächsten Städtchen Malyschi gekauft. Es könnte ein Idyll sein, doch Baba Dunja, die Ich-Erzählerin, ist sich der prekären Situation durchaus bewusst: Sie (wie auch der Rest in Tschernowo) strahlt mittlerweile selbst wie ein kleines Atomkraftwerk und ein Happy End ist bestimmt nicht zu erwarten. Wie sollte es in ihrem Alter auch aussehen? Denn eines ist gewiss: der Tod. Und diesem in Tschernowo zu begegnen, ist das Schlechteste nicht.
Baba Dunja erzählt nicht nur von ihrem Leben im Dorf, sie erinnert sich auch an ihr Leben davor, das voller Mühsal war und darin bestand, für andere da zu sein: ihre Kinder Irina und Alexej; ihren Mann Jegor; die Kranken, die sie als medizinische Hilfsschwester behandelt hat. Nun kann sie zum erstem Mal in ihrem Leben das tun, was sie will: leben und sterben in Tschernowo. Ihrer Tochter Irina, die als Chirurgin in Deutschland lebt, ein Kind hat und nicht verstehen kann, weshalb ihre Mutter dorthin zurückgekehrt ist, schreibt sie beruhigende Briefe.
Zitat: "Mädchen", sagte ich, "guck mich an. Siehst Du, wie alt ich bin? Und das alles ohne Vitamine und Operationen und Vorsorgeuntersuchungen. Wenn sich jetzt irgendetwas Schlechtes in mir einnistet, dann lasse ich es in Ruhe. Niemand soll mich mehr anfassen und mit Nadeln pieksen, wenigstens das habe ich mir verdient."
Alina Bronskys Schreibstil trifft den Tonfall dieser alten Baba Dunja wunderbar: gelassen, durch nichts zu erschüttern und immer noch voller Lebensfreude. Sie weiß um die guten und schlechten Seiten der Menschen, verurteilt niemanden und nimmt das Leben wie es kommt - doch ohne sich sagen zu lassen, was sie zu tun hat. Zufälligerweise habe ich gerade zuvor das Buch Eierlikörtage: Das geheime Tagebuch des Hendrik Groen, 83 1/4 Jahre gelesen - das genaue Gegenteil eines Lebens im Alter. Dort wohl versorgt im Altenheim, alles läuft nach Plan: Essen, Trinken, Unterhaltungsprogramm, sofern es eines gibt. Ohne Eigeninitiative (die nicht unbedingt gerne gesehen wird) nichts als gepflegte Langeweile. Wie erfrischend hingegen das Leben in der Todeszone, ohne dass es verklärt wird. Wenn man mich fragen würde, wo ich lieber meine letzten Tage verbringen möchte, wäre die Antwort klar: Tschernowo ;-)

Eine ruhige kleine Geschichte über die Bedeutung von Heimat. Im Vordergrund steht Baba dunja, eine alte Frau ('ich bin auch nicht mehr 82'), die in ihr Dorf im Niemandsland von Tschernobyl zurückkehrt. Mit den wenigen anderen Dorfbewohnern entwickeln sich ganz eigene Regeln für das Zusammenleben und eine besondere Solidarität. Anrührend, vor allem in den Briefen an ihre Enkelin in Deutschland, die sie über alles liebt, aber nie persönlich treffen wird, da sie 'strahlt wie ein kleiner Reaktor'. Ungewöhnlich.