Den Teufel im Leib

Das Erscheinen des Buches 1923 war ein Skandalon: Ein 15jähriger und eine verheiratete 18jährige beginnen ein amouröses Verhältnis, während der betrogene Gatte als Soldat im 1. Weltkrieg kämpft. Was heute vermutlich keinen Hund mehr hinter dem Ofen vorlocken würde, sorgte damals für weitreichendes Entsetzen in Frankreich. Nicht genug der moralischen Verwerflichkeit, nein, auch dass einer der in Frankreich hoch verehrten Kämpfer von 1914/18 schamlos hintergangen wurde, man ihm den Tod wünschte und zuguterletzt ein Kuckuckskind unterschob - das war mehr als ausreichend für einen Aufschrei in der Gesellschaft dieser Nachkriegszeit.
Doch ist das Grund genug dieses Buch auch heute noch zu lesen? Wohl kaum, wenn es nicht bemerkenswerte Einblicke in eine Liebesbeziehung gewähren würde, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Radiguet beschreibt in einem klaren, nüchternen fast schon kalt zu nennenden Ton aus der Sicht des heranwachsenden Liebhabers die Entwicklung dieses jugendlichen Verhältnisses. Schnell wird klar, dass diese Liebe geprägt ist durch seinen Egoismus, wie wohl in diesem Alter nicht unüblich. Doch auch wenn dem jungen Mann dies stets auf's Neue bewusst wird und er reumütig versucht sein Verhalten zu ändern, tritt seine Ichbezogenheit alsbald wieder zu Tage.
Radiguet vermittelt Einsichten und Erkenntnisse (nicht nur) über die Liebe, deren Bedeutung ebenso damals wie heute Gültigkeit haben und wohl auch alle Zeit überdauern werden.
Ich habe sowohl das Buch wie das Hörspiel 'konsumiert' und empfehle trotz eines hervorragenden Vorlesers (ideal besetzt: die etwas blasiert klingende Stimme von Christian Erdmann) die Papierversion: Dem leicht altertümlichen Stil (der sich jedoch flüssig lesen lässt) ist in der Audioversion nur konzentriert zu folgen, zu leicht verliert man den Faden. Auch liest man manche Passagen gerne ein zweites Mal was beim Hörbuch nur etwas umständlich möglich ist.

Den Teufel im Leib

Anfang des letzten Jahrhunderts ist dieses Buch erschienen – weshalb sollte man das jetzt noch lesen? Gibt es nicht genügend aktuelle Bücher mit vermutlich weniger altmodischer Sprache?
Weil es Ansichten und Darstellungen vermittelt wie es auch heute nur wenigen Büchern gelingt. Und nicht zu vergessen: geschrieben von einem 17jährigen!
Der 15jährige Ich-Erzähler verliebt sich in die 18jährige Marthe, die kurz darauf Jacques heiratet, der Soldat im ersten Weltkrieg ist. Dennoch beginnen die Beiden eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, die eine Vielzahl unterschiedlichster Gefühle in dem jungen Mann hervorruft.
Radiguet beschreibt sehr gelungen die unsteten Empfindungen, wie sie für Pubertierende nicht unüblich sind. Es ist keine unschuldige, selbstlose Liebe, sondern von seiner Seite meist mehr von Egoismus und Narzissmus geprägt, was der junge Mann aber auch immer wieder selbst erkennt ohne dass er sein Verhalten jedoch langfristig ändert. Man möchte diesen Menschen schütteln für Sätze wie „Es beleidigte mich aber, dass Marthe in einem Trennungsbrief nicht von Selbstmord sprach. Ich fand sie kalt.“, aber kurz darauf in die Arme nehmen für Aussagen wie diese: „Wer wegen der Liebe nicht arbeitet, ist darum kein Faulenzer. Die Liebe spürt dunkel, dass einzig die Arbeit wirklich von ihr ablenken kann.. Daher sieht sie die Arbeit als Rivalin. Und Rivalen duldet sie nicht.“
Das Hörbuch ist mit Christian Erdmann wunderbar besetzt. Seine jugendliche Stimme verkörpert auf gelungene Art und Weise die Arroganz wie auch die Ratlosigkeit des jugendlichen Liebhabers – man kann sich kaum einen besseren Sprecher vorstellen. Dennoch ziehe ich das Buch vor: Es gibt so viele Sätze und Aussagen in diesem Roman die man zweimal lesen möchte (oder auch dreimal ;-)), sich anstreichen und herausschreiben möchte – bei einem Hörspiel ist das eher schwierig. Also werde ich nun noch das Buch lesen :-)

Bola und der Torhüter
34 Seiten

In Brasilien ist der Fußball weiblich - Bola heißt es übersetzt. Hier im Buch ist ihr Name Fura-Redes, die Netzbrecherin. Leichtfüßig ist sie, unbeschwert und frech, gefürchtet von den Verteidigern, geliebt von allen Angriffsspielern. Aber sie ist auch gerecht, sie bevorzugt keine Mannschaft. Doch eines Tages verliebt sie sich, ausgerechnet in einen Torhüter. Den man Blümchensucher, fauler Handschuh oder Zitterarm nennt - na, ihr könnt euch schon vorstellen warum :-) Doch von einem Tag auf den andern fliegt ihm Fura-Redes in die Arme, bei jedem Spiel und immer wieder und plötzlich ist er der beste Torwart von allen. Ob das gutgeht???
Eine wunderschöne, verrückte aber auch poetische Fußballgeschichte aus Brasilien, der die Liebe und Leidenschaft der Brasilianer zu diesem Spiel mal ganz anders darstellt.

Paula und die Leichtigkeit des Seins

Paula ist unglücklich. Sie ist ziemlich dick, selbst im Wasser geht sie sofort unter. Dabei möchte sie genau wie ihre Geschwister und Freundinnen und Freunde umherspringen und vom Vater und Onkeln in die Luft geworfen werden. Doch eines Tages geschieht ein Wunder: Onkel Hiram wirft sie hoch (endlich!) - und Paula bleibt oben. Sie fliegt und schwebt in der Luft wie ein Vogel und fühlt sich so leicht wie eine Feder. Wie bzw. ob sie wieder herunterkommt? Selber hören oder lesen :-)
Eine bezaubernde und poetische Geschichte, die von Hannah Herzsprung mit einer gut dazu passenden Jungmädchenstimme vorgetragen wird. Da die 96 Seiten des Buches auch eine Menge wunderschöner Zeichnungen von Peter Schössow enthalten, die leider, leider nicht in die Hörbuchfassung übertragen werden können :-), gibt es auf der CD eine zweite Geschichte um so zumindest 45 min Vorlesezeit zu erhalten.
Diese handelt von Lenni, Paulas dünnem Bruder, der seine Schwester sehr vermisst. Um zu ihr zu kommen, versucht er sogar dick zu werden. Eine schöne Ergänzung, wenn auch diese Erzählung nicht ganz an die Qualität der ersten herankommt. Was aber nicht damit zusammenhängt, dass der Autor sie selbst vorliest.
Alles in allem zwei herrliche Geschichten für Kinder ab ca. sechs Jahren, doch ich persönlich würde das Buch der CD vorziehen. Denn die Zeichnungen von Peter Schössow ergänzen das Erzählte auf perfekte Art und Weise, so dass es für die CD 'nur' vier Sterne gibt.

Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen
270 Seiten

Toxic, bisher erfolgreicher kroatischer Auftragskiller aus New York, erwischt bei seinem letzten Job einen FBI-Agenten. Da nun der Teufel los ist, flieht er auf dem schnellsten Weg und landet als amerikanischer Fernsehprediger in Island. Ehe er es sich versieht, steckt er mittendrin in seiner Rolle als Geistlicher und becirct nicht nur isländische Gläubige…
Schräg, schräger, am schrägsten ;-). Dass bei einem solchen Titel einen kein ‚normaler‘ Krimi erwartet, leuchtet ein. Aber es ist auch kein Unnormaler sondern gar keiner, vielmehr eher die Beschreibung einer Läuterung eines immens großen Sünders. Was sich nun vielleicht fade und öde anhören mag, wird jedoch bei einem Autor wie Helgason zu einem skurrilen wie auch witzigen Leseerlebnis.
Toxic, der vor seiner Laufbahn als Killer Soldat in Kroatien war, ist der Icherzähler mit einem äußerst lockeren wie auch vulgären Tonfall. Er beschreibt Island, das ihm zuvor völlig unbekannt war, aus der Sicht eines Kämpfers (‚Was ist mit diesen Isländern los? Keine Armee. Keine Pistolen. Kein Nix.‘) wie auch eines Großstadtmenschen (‚Der Dom ist so groß wie eine Hundehütte Gottes.‘) und erzählt nebenbei noch aus seinen früheren Leben. Wie ihm der Eurovision Song Contest das Leben rettete, wie er aus Versehen seinen Vater erschoss, wie er seine Morde vorbereitete (‚‘Das Opfer ist König‘ ist mein Motto.‘), wie er den Krieg erlebte (‚In unserer Einheit haben wir fünf Leben verloren, sechs Beine, drei Arme und ein paar Finger.‘). Es sind schreckliche Dinge über die er berichtet, aber dies macht er mit einer solch scheinbaren Selbstverständlichkeit und Direktheit in einer derart ungewohnten Sprache, dass man immer wieder lachen muss.
Trotz der vielen Geschichten aus der Vergangenheit Toxics bleibt die aktuelle Story, der Aufenthalt in Island, spannend. Dazu noch eine Liebesgeschichte und ein überraschender Schluss - einfach gelungen. Die volle Punktzahl gibt es nur deshalb nicht, weil es gelegentlich doch ein bisschen sehr schräg war.

Imperium
242 Seiten

Nachdem ich am Rande den 'Skandal' mitverfolgt hatte den dieses Werk verursachte (an rassistisch und demokratiefeindlich kann ich mich noch erinnern), frage ich mich nicht nur nach dem Lesen der letzten Seite, ob es wohl wirklich dieses Buch war, über das damals so geurteilt wurde. Ja, es handelt von der Zeit des Kolonialismus, als viele Deutsche sich als Herren dieser Welt fühlten und auch so aufführten, sie die Bewohner ihrer Kolonien meist mehr wie Tiere denn als Menschen behandelten. Und auch ja, Christian Kracht beschreibt diese Zeit ausgesprochen detailgenau und bildhaft, aber in keiner Weise als würde er sie glorifizieren oder sogar befürworten.
Es ist die Geschichte des Aussteigers August Engelhardt, der nicht nur vom Vegetarismus sondern auch von der Einzigartigkeit der Kokosnuss nicht nur als Lebensmittel überzeugt ist. Er emigriert nach Neu-Guinea wo er sich mit seiner ganzen Barschaft und entsprechenden Schuldscheinen ein völlig überteuertes Eiland kauft, um dort seinen Traum, die Erschaffung einer Kolonie der Kokovoren, zu verwirklichen.
Kracht beschreibt dieses Leben nebst all den Personen und der Gesellschaft, auf die der Aussteiger trifft, in zumeist ausufernden Satzgebilden so detailliert und anschaulich, immer mit einem leicht ironischen Unterton, wie es bereits die schön gestalteten Umschlagseiten vermitteln. Das Ganze dazu in einer herrlich altmodisch klingenden Sprache, gespickt mit diversen Fremdworten, die der Autor konsequent bis zur letzten Seite durchhält. Unterhaltend fand ich zudem das Auftauchen bekannter historischer Persönlichkeiten, die zwar nie namentlich genannt wurden, aber mit gut fundiertem Halbwissen wohl leicht zu identifizieren sind.
Wie man jedoch dazu kommt, dieses Buch als Abenteuerroman zu bezeichnen, ist mir unverständlich. Die Geschichte wirkt trotz teilweiser wirklich unappetitlicher Abschnitte immer beschaulich und voller Gelassenheit, Action und Spannung sind hier nicht zu finden.
Drei Punkte für eine amüsant zu lesende und unterhaltsame Geschichte.

Die Perlmutterfarbe Ein Kinderroman für fast alle Leute
280 Seiten

Hm, ein Kinderbuch? Ein Erwachsenenroman? Die Autorin nannte es 'Ein Kinderroman für fast alle Leute' - und das trifft es wohl am besten. Zu empfehlen ab 10-12 (?) ist es aber auch für Erwachsene ein Gewinn zu lesen.
In einer Schulklasse entstehen durch Feigheit und Lüge Verdächtigungen ('jemand hat geklaut') und Schuldzuweisungen, es bilden sich Gruppen (A die Guten und B die Bösen) und nur noch Einzelne haben den Mut und die Kraft, Wahrheit und Gerechtigkeit einzufordern. In dieser an und für sich recht einfachen Geschichte wird beispielhaft gezeigt, wie schnell ein Einzelner die Macht an sich reißen und ein funktionierendes Gemeinwesen zerstören kann, wie plötzlich Schulkameraden zu Mitläufern werden und nach Vergeltung schreien, ohne jedoch die Wahrheit zu kennen.
Der Roman spielt Anfang des letzten Jahrhunderts (was gelegentlich an der Sprache festzustellen ist) und sollte die drohende Welt des Nazismus verdeutlichen. Doch das Thema ist derart zeitlos dargestellt, das es auch rund 100 Jahre später nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat.

Du fehlst mir, du fehlst mir!
272 Seiten

Eigentlich dachte ich immer, ich sei gerade Jugendlichen gegenüber ein toleranter Mensch ;-). Doch während der ersten 80 Seiten dieses Jugendromas wurde ich eines Besseren belehrt. Mittelpunkt des Buches ist ein eineiiges 13jähriges Zwillingspaar, die, bevor es zu einem tragischen Unglück bekommt, ausführlich beschrieben werden. Cilla ist die ernsthaftere der Beiden, mit all ihren Sinnen dem Theater und auch der Musik verhaftet. Oberflächliches ist ihr eher fremd und erst recht, als sie einem besonderen Menschen begegnet. Ganz anders ihre Schwester Tina: Von einer herzzerreißenden Liebesgeschichte stürzt sie sich in die nächste, aber jedes Mal (natürlich!) ist es der Richtige. Augen hat sie nur für sich und ihre Jungs, alles andere ist belanglos. Ich kann es noch immer nicht glauben, wie sehr mich das diese ersten 80 Seiten lang genervt hat.
Doch dann beginnt die eigentliche Geschichte und statt nervend war es ‚nur noch‘ einfühlsam, poetisch und überraschend realistisch. Cilla verunglückt bei einem Autounfall tödlich und Tina (und natürlich auch alle Anderen) müssen sehen, wie sie ihr Leben weiterleben. Für Tina aber ist es besonders schwer, denn was ist ein Zwilling ohne den andern? Kann einer allein überhaupt weiterexistieren? Wer ist man ohne seinen Gegenpart? Schuldgefühle, Existenzängste, Selbstzweifel, schlechtes Gewissen – für Tina kommt eine Zeit, in der sie nicht nur den Tod ihrer Schwester verarbeiten, sondern auch mit sich selbst ins Reine kommen muss.
Peter Pohl hat dieses Buch zusammen mit Kinna Gieth geschrieben, um deren Aufzeichnungen es sich hierbei handelt. Mir ist unklar, wie viel er davon direkt übernommen hat bzw. was er wie umwandelte. Denn das Buch klingt so echt, als ob Tina geradewegs vor einem stehen und von ihren Gefühlen, Erfahrungen, Gedanken und Erlebnissen berichten würde. Obwohl mich die Geschichte sehr berührte (nicht nur einmal musste ich zum Taschentuch greifen), fand ich sie nicht im Geringsten kitschig oder rührselig. Eine wirklich bemerkenswerte Lektüre, die einem selbst vielleicht einmal helfen kann, mit dem Verlust eines vertrauten Menschen besser umgehen zu können.

Freddy. Ein wildes Hamsterleben
160 Seiten

Nachdem ich den dritten Band als erstes gelesen hatte, wurde ich neugierig auf den Auftakt dieser Reihe. Und auch diese Ausgabe enttäuschte mich nicht.
Freddy, als Sechster eines Zehner-Wurfs in einer Zoohandlung zur Welt gekommen, ist ein außergewöhnliches Exemplar seiner Art. Statt sich ausschließlich dem Fressen und der körperlichen Ertüchtigung auf dem Laufrad zu widmen, denkt er nach: Wieso leben Goldhamster in Käfigen? Wie kann er ins Gelobte Land Assyria finden, dort 'wo ein jeglicher Goldhamster seinen Ursprung hat in der Goldenen Trinität'? Auf dem Weg dorthin gelangt er zu Sophie, einer außergewöhnlichen Sechsjährigen und ihrem Vater Georg. Zusammen mit ihr lernt er lesen (ohne dass sie davon weiß) und alles könnte so wundervoll sein, wenn, ja, wenn nicht Sophies Mami solch ein falsches Frettchen wäre.
Wie Freddy sich vor ihr rettet, sich dafür sogar auf zwei singende Meerschweine und einen adligen Riesenkater einlässt und ihm zuguterletzt ein Dasein als frei laufendes, kultiviertes Haustier beschieden ist mit Buddenbrooks als Lektüre, ist humorvoll und mit viel Sinn für Feinheiten beschrieben (auch die Biologielehrer werden bedacht :-)).
Ein richtig schönes Kinderbuch, das auch für Erwachsene lesenswert ist.

WAS BLEIBT
46 Seiten

Beim Lesen des Titels dieses Minibüchleins mit gerade mal 46 Seiten (die zweite Hälfte umfasst Werbung in eigener Sache), dachte ich als erstes an so ernste Dinge wie 'Der Sinn des Lebens', 'Nach dem Tode' usw. Weit gefehlt! Gernhardt widmet sich statt dessen der 'deutschsprachigen Literatur unserer Zeit', wobei diese Zeit ca. die Jahre 1930 bis 1980 umfasst. Seine Überlegungen sind dessenungeachtet noch immer aktuell. Es gibt immer mehr Literatur in immer unterschiedlicheren Formen: Prosa, Drama, Lyrik, Graphic Novel, Abenteuer, Krimi, Jugend- und Kinderbücher undundund. Kein Ende ist in Sicht. Doch was davon ist es wert, es an die nachfolgenden Generationen zu überliefern? Zusätzlich noch zu all den Klassikern, die bereits als Muss gelten?
Zugegeben, Gernhardts Kriterien sind recht eigenwillig ;-): Er verschmäht Christa Wolfs Roman 'Nachdenken über Christa T.' ("...dürfte ausgeschlossen werden, da er das Nachdenken, das der Abfassung eines Werkes vorausgehen sollte, eingestandenermaßen zu seinem Inhalt macht?") ebenso wie Günter Grass' 'Die Blechtrommel' und noch viele andere Werke, kaum einer der damals (und teilweise noch immer) bekannten Schriftstellergrößen bleibt verschont. Gernhardt hat nicht nur überraschende Einfälle sondern ist zudem ein Sprachkünstler, der kunstvolle Sätze flicht, die jedoch nicht ganz einfach zu lesen sind. Doch es lohnt sich! Schmunzeln ist auf jeden Fall garantiert - vermutlich auch mehr :-)

Ewig Dein
208 Seiten

Puh, was für ein Ende! Nein, ich will hier keine Einzelheiten ausplaudern, nur so viel: Es ist höchst überraschend, aber auch irgendwie erleichternd, dass doch alles seine Richtigkeit hat :-)
Judith, glücklich und zufrieden in ihrem Singledasein, trifft Hannes, nur wenige Jahre älter als sie, sympathisch, aufmerksam und Hals über Kopf komplett vernarrt in sie. Etwas zu viel Begeisterung für Judith, die sich ihrer Gefühle für Hannes bei weitem nicht so sicher ist wie er sich seiner. So fühlt sie sich bald erdrückt, regelrecht verfolgt und beschließt, dem Ganzen ein Ende zu machen. Doch der Abschied verläuft bei weitem nicht so, wie sie es sich vorgestellt hat...
Es ist beeindruckend, wie man über weite Strecken des Romans sich einer Sache sicher zu sein scheint, um bald darauf wieder eines Besseren belehrt zu werden. Ich dachte, ich wüsste was gespielt wird, haderte schon mit dem Buch ('Wie kann man sich nur so anstellen!?', 'Ziemlich unglaubwürdig') und wurde schlussendlich doch richtig überrascht. Die Geschichte ist vollständig und höchst überzeugend aus Judiths Sichtweise erzählt, so dass man all ihre Empfindungen mühelos mitfühlen kann - was vielleicht meinen zeitweiligen Unmut erklären mag.
Ein Psychodrama der anderen Art und spannend bis zur letzten Seite.

Das Glück in glücksfernen Zeiten

Gerhard Warlich, promovierter Philosoph, gelangte über einen Aushilfsjob in einer Wäscherei auf die Stelle des Geschäftsführers, die er nun schon seit 15 Jahren zur Zufriedenheit des Eigentümers ausfüllt. Doch er selbst ist alles andere als zufrieden. Er fühlt sein Leben an sich vorbeiplätschern, ereignislos, ein Tag wie der andere und meint, dieses Problem auch bei den meisten anderen Menschen zu erkennen. In seinem Innern erhofft er sich noch immer eine Stellung, die seines Studiums angemessen ist und damit die Eintönigkeit seines Daseins beendet. Dennoch ist ihm bewusst, dass es ihm im Grunde genommen gut geht und er keinen Anlass zum Klagen hat: Seine Beziehung zu Traudel ist noch immer glücklich, ihre Existenz durch gute Gehälter gesichert. Aber Warlich fühlt sich eingezwängt in ein Leben, das ihm außer dem täglichen Einerlei nur wenig zu bieten hat. Und als Traudel einen Kinderwunsch äußert, wird die Beengtheit unerträglich...

Es ist nun wirklich keine leichte Kost, diese Lesung. Insbesondere da die Gedankengänge des Protagonisten teilweise recht sprunghaft verlaufen und man als Zuhörende/r konzentriert dabei bleiben muss, um sie nachvollziehen zu können. Auch dann fällt es nicht immer leicht, so dass manches einfach nur mit leichtem Kopfschütteln hingenommen wurde.

Für mich ist Warlichs Geschichte etwas typisches nicht nur unserer Zeit, doch ist man sich dessen heutzutage viel bewusster (und als Philosoph wohl erst recht :-)). Viele leben ihr Leben nicht, sie 'werden gelebt'. Es gibt kein aktives Handeln, sondern nur ein Reagieren und irgendwo im Unbewussten regt sich darüber nach und nach ein Unwohlsein. Man 'rutscht' in bestimmte Verhältnisse, den Job, die Beziehung, zieht zusammen, ist plötzlich Vater, Mutter.... und weiß am Ende nicht, wann man sich eigentlich dafür bewusst entschieden hat. Vielleicht nie... Auch wenn sich das Alles nun eher trist anhören mag, es gibt auch humorvolle Momente in dieser Geschichte.

Sylvester Groth liest das Ganze so, dass man die Trostlosigkeit des Protagonisten gut nachvollziehen kann: etwas kraftlos, mit Energie nur wenn er seine Tagträume zumindest in Worte umsetzt - man sieht Gerhard Warlich wirklich vor sich.

Der Gott aus der Maschine: Eine Weihnachtsgeschichte
48 Seiten

Es ist Weihnachten, nicht nur das Fest der Liebe sondern auch das des Glaubens. Doch Ludwig und sein Bruder sind in einem Alter, in dem sie beginnen zu zweifeln: an der Existenz des Nikolaus, des Christkinds, des Klapperstorchs undundund. Ihr Vater, der mehr einer mechanistischen Erklärung der Welt anhängt, plant dennoch die Rettung des Glaubens seiner Söhne. Ganz im Sinne seiner Überzeugung, des mechanistischen Materialismus, schmiedet er einen Plan um das baufällige Glaubensbild seiner Kinder wieder herzustellen. Und siehe da...
Ludwig Harig beschreibt in seinem ihm ganz eigenen Stil, manchmal vielleicht etwas manieriert klingend, diese humorvolle Weihnachtsgeschichte. Mit viel Sinn für's Detail ('Gütermanns Nähseide Extra stark' spielt zum Beispiel eine wichtige Rolle) schildert er liebevoll dieses wohl unvergeßliche Fest. Daniela Bunge, deren Zeichnungen die Erzählungen begleiten, ergänzt das Ganze in gelungener Form. Wie Harigs Text sind auch ihre Bilder voller kleiner und feiner Details, dennoch nie überladen. Mal bunt, mal eher im Sepiaton, erstrecken sie sich über jede Doppelseite.
Auch wenn der Text nicht wirklich kindertauglich ist (zu viel 'Unbekanntes' kommt vor wie: Descartes' Zirbeldrüsenautomat, Goethes Sonnensystematik usw.), die Bilder sind es allemal. So ist es ein Buch an dem sich wirklich die ganze Familie freuen kann.

Die einzige Wahrheit
464 Seiten

Ich muss zugeben, als ich anfing dieses Buch zu lesen bezweifelte ich, ob das unerklärliche Verschwinden eines Neugeborenen (und der damit aufzuklärende Zeitraum von zwei Stunden) ausreicht, um bei einem Buch mit 460 Seiten am Ball zu bleiben. Meine Zweifel schwanden, ich blieb dran.
Der Tod des Neugeborenen ist der Anlass, dass zwei Welten aufeinanderprallen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Die der Amischen und der 'Englischen' (moderne westliche Gesellschaft). Die 'englische' Anwältin verteidigt ihre unbekannte amische Cousine und zieht aus diesem Grund für eine längere Zeit bei ihr und ihrer Familie ein. Der Zusammenstoss dieser zweier Welten ist für beide Seiten nicht einfach.
Picoult beschreibt eindrücklich nicht nur die für uns recht unbekannte Lebensweise der Amischen, sondern vermittelt auf einfühlsame Art und Weise auch einen Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt dieser Menschen, die der unseren sehr fremd ist. Durch die wechselnde Erzählperspektive (ein Kapitel erzählt Elli, die Anwältin, das andere ein 'allwissender' Erzähler) werden immer wieder Denkanstöße im Hinblick auf unseren eigenen Lebensstil geliefert, ohne jedoch mit dem erhobenen Zeigefinger zu winken.
Diese unterschiedliche Perspektive liefert auch die Spannung: Durch den 'allwissenden' Erzähler weiss man immer ein bisschen mehr als die Anwältin, aber nie genug, um alle Fragen zu klären.
Vier Sterne gibt es 'nur', weil so einige Ungereimtheiten auftauchen: Die am Tatort verschwundene Schere interessiert keinen Menschen (ok, hätte man sie gesucht und gefunden, wäre der Schluss ohne Aha-Effekt. Aber trotzdem.), Katie, die amische junge Frau, macht ein Geständnis und Elli, die sie mittlerweile schon Monate sehr gut kennt, merkt nicht wie es gemeint war (sogar ich hab's gemerkt :-)), Und ein wirklich übler Fehler: S. 311, Katie hat acht Monate die Schwangerschaft verborgen, S. 312, die Geburt war 2 1/2 Monate zu früh (also 6 1/2 Monate), S. 316, die Schwangerschaft wurde sieben Monate geheimgehalten. Ja was denn nun?
Ansonsten aber ein guter Roman mit einem guten und (so hoffe ich) realistischen Einblick in eine recht unbekannte Welt (nicht auf den Klappentext achten, es ist kein Thriller, auch kein psychologischer; eine mitreißende Freundschaft zweier...Frauen - stark übertrieben).

Mister Morgan und die Puppenspielerin
352 Seiten

Kommt mit ins Urlaubsgepäck. Ob ich all die Bücher schaffe? Im Zug sitze ich ja lange genug...

So, jetzt bin ich durch. Hat ja lange genug gedauert ;-)
Morgan, die Hauptfigur des Romans, ist ein Mensch wie man sie sich gerne mehr in unserer Gesellschaft wünschen würde. Aber nur nicht als Ehemann!! :-)
Er liebt es, sein Leben in verschiedenen Rollen zu leben und unterstreicht die Wahrhaftigkeit dieser Existenzen noch durch entsprechende Verkleidungen. Seine Familie hat gelernt damit umzugehen, vielleicht auch deshalb weil sie selbst mit ihrem eigenen Chaos genug beschäftigt ist. Mortons Haushalt umfasst neben seiner Ehefrau Bonnie sieben Töchter, seine depressive Schwester und seine langsam an Vergesslichkeit leidende Mutter. Auch wenn Bonnie die Hauptlast des Haushalts trägt, in dem sie durch ihre eigene Art das Durcheinander noch verstärkt, fühlt sich Morton völlig überfordert. Selbst ein Chaot, sehnt er sich nach Ruhe, klaren Linien, Ordnung - Dinge die er in seinem Haus nirgends vorfindet. Zudem scheint ihn auch niemand aus seiner Familie richtig zu verstehen, man hält ihn für etwas verrückt. Eines Tages wird er durch eine seiner Rollen der Geburtshelfer des Kindes von Emily und Leon. Er freundet sich mit ihnen an und bringt sich immer mehr in deren Familie ein, die für ihn das verkörpert was er sich schon immer wünscht.
Die Figuren sind liebevoll und schön beschrieben bis ins kleinste Detail und man wünscht sich, es gäbe mehr Menschen die sich diese Fähigkeiten bewahrt hätten, auch hinter den scheinbar einfachen Dingen die unglaublichsten Geschichten zu entdecken oder einmal etwas völlig anderes zu tun. Aber nach ca. 200 Seiten hatte ich die eigentümliche Person Morton irgendwann über, er wurde mir mit seiner Art zuviel. Zwar dreht sich das Ganze zum Ende hin noch, doch ich hatte genug.
Wer skurrile Charaktere mag, wird sicherlich Freude an diesem Buch haben.