Ikarus
576 Seiten

Vor fast genau einem Jahr hatte ich mein Science Fiction-Debüt mit Brandhorsts Das Kosmotop. Das war für mich ein ziemlich harter Brocken: zum ersten mal richtige SF und dann auch noch so komplex und detailreich, mit rasanten Reisen mit und durch alle möglichen und unmöglichen Gegenden und Maschinen und natürlich mit politischen Verwicklungen und Intrigen. Trotz der recht anstrengenden Lektüre konnte mich das Buch damals so richtig fesseln und ich bin dem Genre treu geblieben. Allerdings habe ich in der Zwischenzeit keine derart komplexe SF mehr gelesen, bis dann eben Ikarus vorbeikam. Komplex und groß, diese Eigenschaften scheinen die Romane von Andreas Brandhorst auszumachen und ich kann nur sagen: Das ist gut so.

Zu Beginn von Ikarus wacht der Protagonist Jamo Jamis Takeder auf. Aus dem Schlaf? Keineswegs, denn er wurde ermordet, hat allerdings vorher angeordnet, dass für einen solchen Fall sein Bewusstsein in einen Kopiaten übertragen wird, damit dieser selbst die Ermittlungen durchführen kann. Der Kopiat, komplett violett, erinnert sich jedoch zunächst überhaupt nicht an alles, eine Stimme in seinem Kopf allerdings verrät ihm, dass diese ihm nach und nach mehr enthüllen wird. Was Takeder allerdings spürt, ist der unbändige Wunsch nach der Aufklärung seiner Ermordung.

Ein Kopiat, der sich nicht an die letzten zwei Tage seines Originals, auch nicht an weitere scheinbar wichtige Momente und schon gar nicht an die eigene Ermordung erinnert. Klingt das nicht spannend? Es ist noch spannender! Takeder übernimmt hier die Rolle eines unzuverlässigen Erzählers, weil seine Erinnerungen eben so unvollständig sind. Das ganze Buch hindurch musste ich mich fragen, was wirklich passiert sein könnte und welche Beweggründe sein Original wohl hatte. Die Suche nach dem Mörder ist zwar bis zum Ende eine große Antriebskraft, doch ziemlich schnell wird klar, dass natürlich noch viel komplexere Probleme und Intrigen stattgefunden haben. Diese zu verstehen oder im Kopf zu entwirren war für mich fast unmöglich, sodass ich von Andreas Brandhorst im Verlauf der Geschichte wieder und wieder überrascht wurde. Genau diese Vielschichtigkeit ist es, die den Roman neben der Suche nach dem Mörder die Würze und Spannung gibt.

Der Holder Takeder lebte auf den Planeten Tayfun, der sich mit weiteren von Menschen besiedelten Planeten zur Independenz zusammengeschlossen hat. Diese Independenz wird allerdings, entgegengesetzt zum Namen, von mächtigen Regulatoren kontrolliert und ist somit ganz und gar nicht frei. Das politische und wirtschaftliche System auf diesem Planeten hingegen macht die meisten Menschen erst so richtig unfrei: der originale Takeder war ein Holder, ein Inhaber von Lizenzen, die er verkaufen konnte und somit zu einem der reichsten Männer auf dem Planeten wurde. Die anderen Bewohner teilen sich auf in Kreditoren und Debitoren, wobei man scheinbar besonders schnell in die Situation letzterer herab rutschen kann und es sehr schwierig ist, wieder genügend Kreditorenpunkte zu erarbeiten, um ein normales Leben zu führen. Schuldner sind hier eben nichts wert. Wie das Leben in diesem System also wirklich aussieht, erfährt der Leser hier durch weitere Handlungsstränge und Sichtweisen, die sich nach und nach mit den Ereignissen um Takeder verflechten.

Ikarus glänzt einerseits durch das Spannungsfeld Wissen — Nicht Wissen — Vermutungen, andererseits auch durch faszinierende Details dieser Welt, deren Weite man kaum fassen, die aber trotzdem vor dem inneren Auge zum Leben erwachen kann. Dazu kommt noch der packende Charakter des Kopiaten sowie weitere interessante Charaktere, die sich allesamt rasant und mitreißend entwickeln.

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