Superposition
192 Seiten

Ich war am Anfang etwas skeptisch. Nachdem ich kurz die Biografie überflogen habe, dachte ich erst, dass das ein weiterer dieser Berliner-Blogger-Coming-of-Age-Romane ist, in dem eine verwirrte Seele, sich im großen Dunklen Schlund Berlins, inmitten von Drogen, Partys und flüchtigen Bekanntschaften verliert und 250 Seiten lang versucht sich selbst zu finden. Erstes Indiz dafür war die Sprache. Beim ersten reinlesen fiel sofort diese typische, abgehakte und verwirrte Sprache auf, die viel zu oft lose Enden lässt. Auch ständige Aufzählungen sind prototypisch mit drin. (Trinkspielvorschlag: Man schlage wahllos eine Seite auf, lese drei Sätze und wenn eine Aufzählung vorkommt, trink. Es wird ein sehr kurzes Trinkspiel). Solche Sachen wirken schnell zu bemüht und wie eine verkrampfte Art, das Buch auf Romanlänge zu ziehen und dabei einen groooßen Wortschatz zu präsentieren.

Fängt man dann irgendwann schließlich mal an das Buch zu lesen, ändert sich die Sicht auf diese Dinge schnell. Ja der Blogger-Schreibstil, der schnelle, der verwirrte, der Schreibstil mit den losen Enden bleibt. Aber er wird schnell zum Stilmittel, um die Zerissenheit zwischen den 2 oder 3 Kulturen (Berlin, Russland, Judentum), zwischen denen die Protagonistin herumschwirrt, auszudrücken. Generell ist dieser Culturclash intressant. In Kaminers "Russendisko" wird die erste junge Generation eben jener Jüdischen Russen beschrieben, die kurz vor der Wende in die DDR kamen. Die Generation hat Mütterchen Russland mit all seinen Bräuchen und eigenartigkeiten noch kennengelernt. Hier ist die neue Generation. Die Nachfolger. Die, die zu Zeiten der Übersiedlung kleine Kinder waren, denen Russland nur aus fernen Erinnerungen und Gute Nacht Geschichten bekannt ist. Eine Generation, die eine fremde Kultur von den Eltern in den eigenen 4 Wänden vorgelebt bekommen und ausserhalb dieser eine ganz andere Kultur kennenlernt, zu der wiederum die Eltern keinen Zugang finden (wollen). Und so schweben sie zwischen den Spähren hin und her. In Deutschland haben wir mittlerweile die 3. Generation von Einwanderkindern, die keiner Kultur richtig angehören und für viele ist das ein riesen Problem. Auch für unsere Gesellschaft.

Was mich noch sehr gefreut hat, ist, das ein mir unbekanntes Berlin beschrieben wird. Keine Partys, kein Techno, keine (naja kaum) Drogen, sondern das Theaterberlin, das Jazzberlin mit seinen ganz eigenen intressanten Persönlichkeiten. Sicherlich gibt es da im Realen viele Schnittmengen, aber in diesem Buch nicht und das ist sehr erfrischend.

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