Phoenix – Tochter der Asche
400 Seiten

Für "Phoenix — Tochter der Asche" hat Ann-Kathrin Karschnick 2014 den Deutschen Phantastik Preis in der Kategorie "Bester deutschsprachiger Roman" in Empfang nehmen dürfen, deshalb war ich natürlich umso gespannter auf dieses Buch. Ann-Kathrin selbst hat ihre Phoenix-Reihe auf einer Lesung mal als Teslapunk-Dystopie beschrieben, klingt nach einem geilen Konzept, oder? Teslapunk ist wie Steampunk, nur eben nicht mit Dampfmaschinen, sondern mit den Erfindungen von Nicola Tesla. Die Geschichte selbst hat zwei Protagonisten, deren Sichtweisen abwechselnd erzählt werden: Zum einen den Ermittler der Kontinentalarmee Leon, der eine ungewöhnliche Mordserie aufklären soll, zum anderen die Phoenix Tavi, eine der letzten ihrer Art in Hamburg, wenn nicht gar ganz Europa, die ihr wahres Ich unbedingt vor der Kontinentalarmee und den herrschenden Saiwalo verstecken muss.

Der Einsteig in die Geschichte ist durch die detailreiche Erzählung wunderbar gelungen. Die Atmosphäre im zukünftigen Hamburg wurde bildgewaltig und greifbar eingefangen. Im Jahr 1913 hat ein fehlgeschlagenes Experiment fast ganz Europa zerstört, woraufhin die Saiwalo, überirdische Wesen, zusammen mit Nicola Tesla den Kontinent wieder aufgebaut haben. Die Saiwalo gaben damals den Seelenlosen, also Phoenixen wie Tavi oder Hexen und anderen übernatürlichen Wesen, die Schuld an dem Unfall und seitdem sind diese dem Untergang geweiht und die Saiwalo sind die von allen hochgelobten Retter, obwohl ein Großteil der Bevölkerung in völliger Armut leben muss. Das Setting der Phoenix-Reihe war für mich durchweg ein vollkommen neuartiges und deshalb spannendes. Viele weitere eingestreute kleine Details ergaben langsam aber sicher ein immer interessanteres, wenn auch fast zu komplexes Gesamtbild. Diese haben jedoch über viele Seiten lediglich die Atmosphäre und den Ist-Zustand beschrieben, auf erklärende Worte, die beispielsweise auf Hintergründe und den Ursprung der Situation eingehen, musste man für meinen Geschmack ein bisschen zu lange warten.

Tavi und Leon sind Protagonisten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Zum einen befinden sie sich auf komplett verschiedenen Seiten — Leon dient den Saiwalo, die wiederum solche wie Tavi am liebsten ausgelöscht sehen würden —, zum anderen ist Leon im Vergleich zur jahrhundertealten Tavi ein regelrechter Welpe. Die Ermittlungen an der Mordserie führen diese beiden Personen dennoch zusammen, wobei sich ihr Verhältnis zueinander ständig entwickelt. Der Fall an sich war eine Mischung aus überraschend, geradlinig und gehetzt, mit einigen Portionen Action dazwischen. Ansonsten wurden die Privatleben der Charaktere näher beleuchtet, wobei ich das von Tavi als weitaus spannender empfand. Die Phoenix hat nunmal ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel, von daher ist das ja klar. Bei ihr erfährt man nicht nur näheres über ihren Ziehsohn, der einer der faszinierendsten Nebencharaktere ist, sondern auch über weitere übernatürliche Wesen. Bei Tavi selbst hatte ich allerdings einige Male das Gefühl, dass diese zu vielschichtig angelegt wurde. Bei so vielen Jahren Lebenserfahrung ist es natürlich klar, dass sie viel erlebt hat, dennoch schien mir einiges an ihrem Verhalten nicht recht zusammenzupassen.

Eine Portion Romantik fehlt auch in dieser Reihe nicht. Meinetwegen hätte die Liebesgeschichte viel weiter in den Hintergrund rücken dürfen, obwohl sie an sich schon ein schöner Zusatz war. Dennoch wurde sie in einigen Situationen in den Vordergrund gerückt, in denen ich lieber etwas mehr zum Fall oder zu den Beweg- und Hintergründen der Charaktere erfahren hätte. Zudem habe ich den Charakteren die plötzliche Zuneigung lange Zeit nicht abgenommen, weil ich es selbst nicht richtig spüren konnte.

Der Auftakt zur Phoenix-Trilogie "Tochter der Asche" ist vor allem durch das neuartige Setting lesenswert. Teslapunk-Dystopie, immer noch ein ultra cooler Begriff. Das komplexe Konzept wurde im ersten Band bereits detailreich ausgearbeitet und ich freue mich auf weitere Enthüllungen in den nächsten Bänden. Die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander waren schon spannend erzählt, haben allerdings noch Luft nach oben.