Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus
160 Seiten

Ganz sicher ist es nicht nur eine schöne, sondern auch eine überaus nützliche Begabung von schrecklichen Dingen so erzählen zu können, dass andere zuhören wollen. Tanja Maljartschuk hat dieses Talent. Wenn sie sich in „Erinnerungen an das Sinnliche“ über Hören, Riechen, Schmecken und sehen an ihre Familiengeschichte erinnert und dabei von ihrer Großmutter erzählt, die den stalinistischen Holodomor überlebt hat, klingt das so: „Meine Großmutter hat Pilze im Wald gesucht und geschworen, als es noch kalt war, einen seltenen Pilz gefunden zu haben, der Judasohr heißt und einem menschlichen Ohr sehr ähnlich sieht. Der Wald war voll von diesen Pilzen, sagte sie, der Wald wollte genau hinhören, was gerade geschah. Und es geschah eine unglaubliche Stille allerorts, weil alles, was singen, krähen, miauen oder bellen konnte, längst gegessen worden war. Gott versteckte sich auch, und zu Recht, sagte meine Großmutter. Seitdem habe sie ihn nicht mehr gesehen.“ Und dann diese traurige Geschichte von den Idealisten, die nach Lösungen suchen und mit ihren Idealen weitesgehend allein bleiben, in dem vielleicht längsten Essay in diesem Band „Ukraina Stelo oder: Die Zukunft verwischt alle Spuren“ schreibt Maljartschuk die gleichzeitig desillusionierende wie inspirierende Geschichte von Lejzer Zamenhof, dem Erfinder der Kunstsprache Esperanto.