Astray
343 Seiten

Ursprünglich erschienen auf meinem Blog Piranhapudel: https://piranhapudel.de/astray-amy-christine-parker/

In den letzten Jahren war ich ziemlich schlecht darin Buchreihen zeitnah weiter zu lesen. Das war oft eine Mischung aus Nicht-dazu-kommen oder Noch-nicht-trennen-wollen. Manche Bücher schaffen es aber, dass ich am liebsten sofort in dieser grandios beschriebenen Atmosphäre bleiben möchte — und dann macht mir eine ewig lange Lieferzeit einen Strich durch die Rechnung. [b:Gated|18814153|Gated (Gated, #1)|Amy Christine Parker|https://d.gr-assets.com/books/1391616855s/18814153.jpg|21447291] von Amy Christine Parker hatte mir bis auf einige Kleinigkeiten unglaublich gut gefallen, weil die Autorin es durch leise Worte geschafft hatte, mich mit der Hörigkeit der Sektenanhänger nachhaltig zu berühren. So viel Wut wie bei diesem Buch hatte ich selten im Bauch; und doch wurde es beim zweiten Band Astray noch schlimmer. Und deshalb war dieses Buch tatsächlich noch besser.

„Once you’re in, you’re in for life . . . or death.“ steht auf dem Cover der englischsprachigen Ausgabe, die deutsche Übersetzung heißt [b:Gated: Sie sind überall|25484458|Gated Sie sind überall (Gated, #2)|Amy Christine Parker|https://d.gr-assets.com/books/1430829277s/25484458.jpg|27112711] und viel besser könnte man das Konzept dieses Buches und seine Atmosphäre gar nicht zusammenfassen. So war es wieder eine Mischung aus Wut, Angst und Unverständnis, die mich durch das Buch getragen hat. Nach dem Ende des ersten Bandes (ja, Spoiler!) ist Lyla der Community endlich entkommen, um bei ihrem Freund Cody und seiner Familie zu leben — könnte man meinen. Man könnte auch meinen, dass den anderen Mitgliedern der Community endlich die Augen geöffnet wurden, nachdem die von Pioneer angekündigte Apokalypse nicht gekommen ist und er es vielmehr selbst in die Hand genommen hat, dass seine Schäfchen ja alle mehr oder weniger friedlich einschlafen. Doch falsch gedacht: Jahrelange Konditionierung lässt sich offensichtlich nicht so einfach ablegen.

Astray erzählt nicht nur von den Nachwirkungen von Pioneer auf die Mitglieder der Community, sondern auch von den Reaktionen der Einwohner von Culver Creek, wo sie jetzt leben. Für die neuen Mitschüler sind das nur die komischen Sektenkinder, über die man sich lustig machen kann, für einige besorgte Mütter sind es gar schlechte und gefährliche Einflüsse auf ihre eigenen sorgsam behüteten Kinder. Und die Sektenmitglieder selbst? Ich hatte zwar nicht erwartet, dass es immer noch so schlimm sein wird, doch diese kauen immer noch genau das nach, was ihnen eingetrichtert wurde. Pioneer ist eben immer noch ein Mensch, der für jede Möglichkeit vorsorgt, sodass er im Nachhinein sagen kann: Hab ich euch nicht vorhergesagt, wie schlimm die Outsiders sein werden? So entsteht ein komplexe Spannung zwischen diesen beiden Polen, zwischen diesen Gruppen, die sich gegenseitig für verrückt und dumm halten — und Lyla mitten dazwischen.

Amy Christine Parker arbeitet hier wieder sehr geschickt mit leisen Worten und Situationen, die nach und nach ein immer gefährlicher anmutendes Gesamtbild zeigen. In diesem Band funktioniert das sogar noch besser, weil vor allem Lyla, aus deren Perspektive wir das ganze erleben, gelernt hat differenzierter zu denken und zu beurteilen. Dieses Buch ist nicht nur die Darstellung eines Sektenlebens, sondern auch eine Charakterstudie an den verschiedenen Sektenmitgliedern. Auf den ersten Blick erscheinen sie — Lyla ausgenommen — alle gleich, sie reden und denken gleich, sind eine Gruppe, die zusammen, wenn auch verrückt, aber dennoch unbezwingbar wirkt. Doch natürlich gibt es auch innerhalb der Gruppe massive Unterschiede (und auch noch tiefere Abgründe als vorher gedacht), wenn man genau hinschaut. Und das macht Amy Christine Parker in diesem Folgeband.

Wer schon den ersten Band "Gated" gemocht hat, wird den folgenden und abschließenden Band "Astray" mit hoher Wahrscheinlichkeit noch mehr mögen. Mich zumindest hat dieses Buch noch wütender und atemloser zurückgelassen.