Wir sind dann wohl die Angehörigen
208 Seiten

Nachdem Jan Philipp Reemtsma nach seiner Entführung im Jahre 1996 gegen eine Zahlung von 30 Millionen DM wieder freikam, schrieb er das Buch 'Im Keller', in dem er die Ereignisse sachlich chronologisch darstellt, daran anschließend seine eigenen Erlebnisse schildert und zuguterletzt darüber reflektiert, was damals mit ihm geschehen ist. Sein Sohn, der damals 13 Jahre alt war, beschreibt nun in 'Wir sind dann wohl die Angehörigen', wie er diese 33 Tage erlebte.
Es ist erstaunlich, wie detailliert die Erinnerungen von Johann Scheerer an diese Zeit sind. Natürlich könnte Manches aus dem Reiche der Fiktion stammen, was nach 22 Jahren verständlich wäre. Doch ich hatte eher den Eindruck, dass sich diese Geschehnisse mit einer Deutlichkeit in seinem Gedächtnis eingebrannt haben, dass er sie ohne Schwierigkeiten jederzeit vor seinem inneren Auge ablaufen lassen kann.
Sehr überzeugend schildert er, wie er verzweifelt versuchte, Haltung zu bewahren und in irgendeiner Form zu helfen, obwohl er sich sicher war, seinen Vater nie mehr zu sehen. Sein permanent schlechtes Gewissen, ob er überhaupt noch Freude empfinden dürfe; sein Gefühl, in einer Welt zu leben, die nichts, aber auch überhaupt nichts mit seinem bisherigen Leben zu tun hat; all das vermittelt er so glaubwürdig, dass ich glaube, zumindest ansatzweise mitfühlen zu können, was er durchlebte.
Irgendwelche bedeutsamen neuen Erkenntnisse bietet dieses Buch nicht, sieht man davon ab, dass ich erst jetzt erfahren habe, wie amateurmäßig die Polizei damals gearbeitet hatte und damit das Leben des Entführten wiederholt aufs Spiel setzte. Aber es ist eine beeindruckende Erinnerung eines dramatischen Geschehens, das vielleicht dem Autor auch hilft, damit besser klar zu kommen. Denn vergessen kann man so etwas sicherlich nie!

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