(spoiler alert)
Ich habe nun das erste Mal "Wir Kinder aus Bullerbü" gelesen und aus Lisa's Augen ihre kleine heimelige Welt entdeckt, die aus drei Häusern, sechs Kindern, einer Schule und einer Lehrerin, einem Hund und einem Opa besteht. Vielleicht noch ein paar Eltern als Nebenrollen. Und Agda. Über enggeschnürte Geschlechterrollen und kritische Stereotypen könnte ein eigenes Buch geschrieben werden aber da die liebe Astrid das Buch 1947 geschrieben hat, unterstelle ich ihr gutgläubig, dass sie es nicht besser wissen konnte und wende mich lieber den Teilen der Geschichte zu die mich berührt haben.
Ich bin eingetaucht in 93 Seiten gefüllt von Freundschaft und Geschwisterliebe die sich unter anderem in Formen äußern wie dem Spiel von Kindern die meinen sie hätten sich eine Geheimsprache ausgedacht und sich gegenseitig vorgaukeln sie würden sich verstehen und die anderen könnten es nicht. Ein lustiges Unterfangen, das für Außenstehende meiner Erfahrung nach enorm anstrengend sein kann. Aber die Kinder lassen sich nicht unterbringen von dem Versuch ausgeschlossen zu werden sondern denken sich auch eine Sprache aus oder suchen so lange die Karte vom Heulabyrinth bis sie vor den Jungs hocken. Es war schön zu sehen mit welcher Leichtigkeit die Kinder untereinander mit Frust und ihren Dynamiken umgehen, die ich von mir früher wiedererkannt habe. Die Idylle die einem aus den Kapiteln entgegen atmet riecht nach schwedischer Blumenwiese und frischem Schnee und ist unberührt von moderner schneller Lebensweise oder sogenannten technologischen Hilfsmitteln. Ein Telefonanschluss hat keines der drei Häuser in Bullerbü, weswegen die Kinder als einzige aus der gesamten Schule, also der 23 Kinder, nicht bescheid wussten als die Lehrerin krank war. Natürlich hat der Opa auch einen Platz in dieser Rezension verdient, schon allein weil er Inga und Lisa als sie ihn fragten ob sie von Zuhause abhauen sollten in ihrem Vorhaben ermutigte. "Inga und Lisa? Die zwei kleinen? Tut mir leid die habe ich schon lange nicht mehr gesehen." Sehr süß dass sie in ihm einen erziehungsberechtigten Komplizen gefunden haben.
Das Buch bietet einen schönen Ausflug in eine Welt abseits der Sidehustle und des komplizierten Wissensstrebens. Schön wenn man sich nicht dabei die Augen zuhalten müsste wenn es um Care Arbeit und das fortlaufende Narrativ geht, dass Mädchen Jungen nervig finden und andersrum. Das formt Kinderköpfe in binäre und ausgrenzende Muster, die schon lange hinter uns liegen müssten. Aber dank Astrid merken wir vielleicht schon wie weit wir bereits gekommen sind und was wir an der Nostalgie nicht vermissen müssen.
Die Geschichten von Astrid Lindgren aus heutiger Sicht als Erwachsene Person nochmals zu lesen war sehr interessant und spaßig. Ist das Buch politisch korrekt? Natürlich nicht. Es stammt aus einer anderen Zeit und auch ich bin mit Geschlechterrollen aufgewachsen. Diese Zeiten haben existiert und ein Zurückblicken scheint uns manchmal das Gefühl zu geben, schon weit gekommen zu sein. Alles in allem sind die Geschichten süß geschrieben und haben mich hin und wieder nostalgisch werden lassen. Die Kinder aus Bullerbü wachsen in einer scheinbar heiligen und perfekten Welt auf in der sie sich ganz frei entfalten und ausleben können. Wer wünscht sich das nicht? Bücher sind nicht nur da um Realitäten abzubilden, sondern um auch mal zu träumen. Für die knapp 100 Seiten bin ich immer wieder in eine kleine Traumwelt abgetaucht und habe kritisch hinterfragt. Ist es nötig diese stereotypen zu reproduzieren? Nein. Ich denke es ist aber trotzdem möglich die Geschichten der Kinder aus Bullerbü zu lesen, vorzulesen und zu genießen um anschließend festzustellen: Ich bin froh nicht als Mädchen schon Hausfrau sein zu müssen.