Die Stille nach dem Schrei
400 Seiten

Was macht einen gelungenen Thriller aus? Dass man bis zum Schluss mitfiebert, wer der Bösewicht ist? Die Suche nach der Wahrheit, der Auflösung des Falles?
Dann dürfte 'Die Stille nach dem Schrei' kein gelungener Thriller sein, denn hier weiss man fast von Beginn an, wer der Übeltäter ist. Doch das Buch ist alles andere als langweilig. Martin, 19, hat seinen 14jährigen Halbbruder aus einer Art 'Notwehr' heraus erschlagen, weil dieser angeblich einen zehnjährigen Jungen mißhandelt und getötet hatte. Das Gericht glaubt seiner Version und so ist Martin kurz darauf wieder auf freiem Fuß. Irene, seine Stiefmutter, hat Zweifel an dieser Geschichte und beginnt mit eigenen Nachforschungen. Nicht nur weil sie eine weitere ähnliche Tat auf jeden Fall verhindern will, sondern auch um die komplette Wahrheit zu erfahren, was wirklich damals geschah.
Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus unterschiedlichen Perspektiven: Zum einen Irenes, die nicht mehr weiß was sie glauben soll und der die Zweifel neben dem Verlust ihres Kindes beinahe jeden Lebensmut rauben. Doch ihr Wille, die Gewissheit über die tatsächlichen Geschehnisse zu erhalten ist stärker und so beginnt sie ihre Suche nach der Wahrheit. Dann gibt es Tina, eine 18jährige Abiturientin, die sich rückhaltlos in Martin verliebt, der beginnt sie nach seinen Vorstellungen zu formen. Sie schildert im Rückblick ihre fast schon krankhafte Besessenheit von diesem jungen Mann, ihre Verweigerung der Realität ins Auge zu blicken und man bekommt eine gute Vorstellung davon, was in ihr vorging. Und es gibt Hauptkommissar Schneider, der ebenfalls Zweifel an der Aussage Martins hegt und befürchtet, er könnte ein weiteres Mal zuschlagen. Zuguterletzt erhält man Einblick in die Gedankenwelt Martins, die keinen Zweifel daran lässt, dass hier ein Psychopath am Werke ist.
Ich fand es packend zu verfolgen, wie sich langsam die Spannung aufbaut, die eine Seite darauf abzielt ein neues Verbrechen zu begehen, während andererseits gleichzeitig alles unternommen wird, genau dieses zu verhindern. Die Personen sind komplex und weitestgehend klischeefrei dargestellt, vielleicht fast etwas zu viel des Guten (auch Klischees sind irgendwann einmal aus einem bestimmten Grund entstanden :-)). So blieb für mich insbesondere die Figur der Irene etwas unnahbar, obwohl ihre Perspektive neben Tinas am ausführlichsten dargestellt wurde.
Alles in allem ein Thriller, der spannend und gut unterhält - nicht mehr und nicht weniger.