Die See
217 Seiten

2005 bekam John Banville für dieses Buch den Man Booker Prize verliehen - völlig zu recht wie ich finde. Auch im Deutschen (dank der herausragenden Übersetzerin Christa Schuenke) fühlte ich mich beim Lesen, als ob ich an der Seite des Protagonisten wäre. Ich roch und schmeckte das Meer, den Herbst, den Sommer. Es gibt sicherlich nur wenige Bücher, in denen ich so unmittelbar am Erleben der Figuren teilgenommen habe wie hier.
Die Geschichte an sich ist eher unauffällig: Ein Mann, Max Morden, ein Kunsthistoriker in den Sechzigerin, verliert seine Frau durch eine Krankheit und fährt in seiner Trauer an einen Ort seiner Kindheit; dort, wo er die Ferien verbrachte. Hier erinnert er sich an längst und jüngst Vergangenes, an die Urlaube als Kind, die letzten Monate während der Krankheit seiner Frau, ihre erste gemeinsame Zeit. Alles fließt ineinander über und doch sind die verschiedenen Lebensabschnitte leicht voneinander zu unterscheiden. Fast wirkt es wie im Film, wenn durch geschickte Überblendungen der Wechsel in eine andere Zeitebene erfolgt - John Banville beherrscht diese Kunst grandios. Max' Erinnerungen, wiederholt ausgelöst durch Vergleiche mit der bildenden Kunst, nimmt er auch zum Anlass, sich Selbstreflektionen hinzugeben, die teilweise zu philosophischen Betrachtungen werden. Wann entsteht Bewusstsein? Das Bewusstsein seiner Selbst? Was ist Arbeit? Banville besitzt unter anderem nicht nur ein bewunderswertes Wissen über Kunst, sondern beispielsweise auch über Neurophilosophie, an dem er die Lesenden teilhaben lässt.
Doch über Allem steht dieser wunderbare Schreibstil, der exemplarisch zeigt, zu was Sprache fähig ist. "Sommerlicht, dick wie Honig ...", "Draußen gab es noch mehr Palmen, zerzauste, gakelige Dinger, deren graue Borke dick und zäh wie Elefantenhaut aussah." Banville ist ein unglaublich aufmerksamer Beobachter mit einem Blick für kleinste Details, die er in solch bildhafte Worte fasst, dass man wirklich Alles vor sich sieht.
Bemerkenswert empfand ich auch die Darstellung des Protagonisten. Max, der einen von Beginn an durch seine schon fast poetische Sprache praktisch völlig für sich einnimmt, sich jedoch entlarvt durch kleine Nebensätze als ein nicht gerade sympathisches Exemplar seiner Gattung. Amüsant empfand ich seine Abneigung gegenüber Männern, an denen er exakt das missbilligte, was er darstellte: das Vortäuschen einer Figur, die er nicht ist, was mir jedoch erst gegen Ende bewusst wurde.
Ein Buch, in dem so viel mehr steckt als nur die Geschichte eines trauernden Mannes. Ganz große Kunst!