Das Echo der Erinnerung
544 Seiten

Powers mehr als 500 Seiten starker Roman hat, neben der eigentlichen Handlung, auch zwei große Themen der Menschheit zum Inhalt: Was macht den Mensch zum Individuum? Und die Zerstörung der Umwelt durch den Menschen.
Marc, der nach einem mysteriösen Unfall die ihm gefühlsmäßig am nächsten stehenden Menschen und Dinge nicht mehr erkennt (er glaubt, es sind Doubles bzw. Nachbauten), wird von seiner Schwester Karin aufopferungsvoll umsorgt. Karin ist dafür zurückgekommen in ihre Heimatstadt Kearney, aus der sie vor Jahren floh - vor der eigenen Familiengeschichte. Zurück muss sie erkennen, dass sich nichts geändert hat - all ihre Probleme treten wieder zutage. Sie bittet einen bekannten Neurologen wegen ihres Bruders um Hilfe, der aus Interesse an diesem Fall aus dem fernen New York anreist - und ebenfalls mitten in eine Lebens- und Sinnkrise gerät.
Als roter Faden zieht sich durch diesen Roman der Zug der Kraniche, der jährlich (auch zum Zeitpunkt des Unfalls) Halt an einem Fluss in der Nähe von Kearney macht und die Kleinstadt so für einige Wochen zur Attraktion von Touristenmassen wird. Doch durch den sinkenden Wasserpegel sind die seit Urzeiten auf dieser Route ziehenden Kraniche gefährdet, was sich durch geplante Bauvorhaben noch verschlimmern würde.
Schwerpunkt des Buches ist die Bruder-Schwester-Beziehung, die nicht nur durch Marcs anhaltende Verletzung belastet ist, sondern auch durch Karins persönliche Schwierigkeiten. Ihr Zwang, von allen gemocht zu werden, nie gut genug zu sein, verstärkt sich durch Marcs Krankheit noch.
Durch die Einbeziehung des Neurologen werden geschickt ausführliche und gut verständliche neurologische Fallbeschreibungen miteinbezogen, die bei mir besonders einen Eindruck hinterließen: Wie fragil unser Gehirn und damit unsere Persönlichkeit ist. Nur eine kleine Störung - und wir erkennen unsere Umwelt nicht mehr, unseren eigenen Körper, sehen Bilder die Andere nicht sehen und und und. Erschreckend!
Durch den wiederholten Wechsel der Perspektiven (Sicht Marcs, Karin, Neurologe, Kraniche) erhält man einen guten Einblick in die jeweiligen Personen.
Spannung erhält der Roman durch den ungeklärten Unfallhergang. War es ein Selbstmordversuch, waren seine Freunde eventuell daran beteiligt, vielleicht sogar eine Verschwörung? Und was ist mit Barbara, der mysteriösen Schwesternpflegerin, die mehr zu sein scheint als das was sie vorgibt? Und von wem stammt der rätselhafte Zettel an Marcs Krankenbett? Fragen, die genügend Stoff für einen Kriminalroman bieten würden, hier jedoch mehr am Rande vorkommen.
Alles in allem: Von allem etwas - und damit vielleicht etwas zuviel. Das Buch liest sich gut weg, es ist spannend genug dass man dran bleibt, aber so richtig der Schmöker ist es nicht.